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Zürich Fan City 2008: Der inszenierte Ausnahmezustand

Anke Hagemann. Erschienen in dérive Nr. 32, Juli 2008

„City Dressing“, „Walk of Fans“, „Commercial Display“ oder „Hospitality Zone“ – die neuartigen stadträumlichen Begleiterscheinungen großer Fußballevents scheinen sich nicht mit bestehendem Vokabular beschreiben zu lassen. Schon „Public Viewing“ ist eine schein-anglizistische Wortneuschöpfung, die sich im deutschsprachigen Raum für die öffentliche Übertragung der Spiele auf Großbildleinwänden durchgesetzt hat. (1) Mit der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland wurde das Public Viewing zum offiziellen Bestandteil des Turniers in den zwölf Austragungsstädten erklärt und „FIFA Fanfest“ genannt. Im breiten Sprachgebrauch setzte sich jedoch schnell der Begriff „Fanmeile“ durch, der von der Gesellschaft für deutsche Sprache schließlich zum Wort des Jahres 2006 erklärt wurde. Die Europameisterschaft 2008 kreierte mit „Fanzone“ wiederum ihren eigenen Namen für die offiziellen Public-Viewing-Bereiche in den „Host Cities“ Österreichs und der Schweiz. Als „Fanmeilen“ werden hier hingegen die gastronomisch bespielten Zubringerachsen zur Fanzone bezeichnet.

Obwohl die Fußballweltmeisterschaft wie auch die Europameisterschaft nationale Turniere sind, die an Länder vergeben werden, ist die Bedeutung ihrer Austragungsstädte in den letzten Jahren stark gestiegen. Waren die Städte früher nur der Ort, in dem sich das jeweilige Stadion befand, so haben sie sich mittlerweile zu wesentlichen Schauplätzen und zu zentralen Akteurinnen des Events entwickelt. Mit der EM 2008 sind die Schweizer Städte sogar direkte Vertragspartnerinnen der UEFA – ein nationales Organisationskomitee wie bei der WM in Deutschland gibt es hier nicht. Die „Host City Chartas“ regeln die konkrete Durchführung des Events und verteilen Kosten und Nutzen zwischen UEFA und öffentlicher Hand.
Diese neue städtische Dimension von WM und EM lässt sich mit zwei komplementären Entwicklungen beschreiben, erstens mit der Urbanisierung großer Fußballturniere – das Event nutzt in steigendem Maß die Stadt – und zweitens mit der Eventisierung der Stadt – die Stadt versucht, immer größeren Nutzen aus dem Event zu ziehen.

Die Urbanisierung von Fußballevents

Fußball gucken im Freien

Da die Mobilität der Fans und die Nachfrage nach Stadiontickets stark ansteigen während sich gleichzeitig die zum Verkauf stehenden Ticketkontingente reduzieren, bleibt der Stadionbesuch zunehmend einer kleinen Elite vorbehalten. So entwickelt sich das Public Viewing, ursprünglich eine Kompensationsmaßnahme für leer ausgegangene Fans (2), zu einem zentralen „Schau-Platz“ des Geschehens. Das Event bekommt neben dem generischen Raum des Stadions einen spezifischen Ort im Zentrum der Stadt und das Gewicht verlagert sich vom tatsächlichen Ereignis zum Ort seiner medialen Repräsentation und kollektiven Rezeption. Mit der Integration zentraler Public-Viewing-Veranstaltungen in das offizielle Programm der Austragungsstädte institutionalisiert sich seit der WM 2006 ein Trend, der vielerorts mit selbstorganisierten dezentralen Veranstaltungen begann. Diese anfangs spontanen Entwicklungen gründen auf die subkulturelle Aneignung städtischer Räume, die insbesondere im Zürich der 1980er und 90er Jahre sehr intensiv erlebt wurde und hier bereits städtische Massenevents wie die Street Parade hervorgebracht hat. Im Juni 2008 werden die kleinräumigen Schweizer Innenstädte vermutlich bis an ihre Kapazitätsgrenzen von der „Euro 08“ eingenommen; dabei erheben die offiziellen Fanzonen zunehmend den Monopolanspruch auf das städtische Public Viewing. Auch die so genannten „UBS-Arenen“, Public-Viewing-Einrichtungen, die von der Großbank UBS an 16 mittelgroße Schweizer Städte „verschenkt“ werden, erlauben keine Konkurrenzveranstaltungen auf öffentlichen Flächen.

Mit der Etablierung dieses neuen Schauplatzes wird die gebaute Stadt zum Erlebnisraum und zur Bühne des Events: Die städtische Arena soll Stadion-Qualitäten wie Dichte und Atmosphäre bieten und gleichzeitig kommerzielle Interessen und Sicherheitsanforderungen erfüllen, die auch an ein Stadion gestellt werden. Das resultiert in zwei gegensätzlichen räumlichen Strategien: dem Einbau temporärer Stadien in die Stadt oder dem Umbau der Stadt zum einem temporären Stadion. Die erste Strategie, die umschlossene Räume herstellt und diese vom städtischen Kontext abtrennt, war zum Beispiel bei der „Adidas-World of Football“ 2006 in Berlin zu beobachten, einem verkleinerten Nachbau des Berliner Olympiastadions direkt vor dem Reichstagsgebäude. Auch die 16 UBS-Arenen orientieren sich an einem stadionartig geschlossenen Modell. Die vier Schweizer Austragungsstädte verfolgen hingegen eher die zweite Strategie, die Inszenierung ihrer Innenstädte als Kulisse für das Public Viewing. So wählt Zürich die Skyline am Seebecken als Ort für die Fanzone, Basel das Rheinufer, Genf die innerstädtische Freifläche Plaine de Plainpalais und Bern den Platz vor dem Schweizer Bundeshaus. Zudem inszenieren die „Fanmeilen“ als Prozessionsrouten den Weg vom Bahnhof durch die Altstadt zur Fanzone.

Die Zürcher Fanzone 

Der Sechseläutenplatz in Zürich, ein traditioneller Festplatz an prominenter Lage, bietet ausreichend Raum für eine umzäunte Fanzone für 45 000 BesucherInnen, die sich an Spieltagen um die anliegende Straße bis zum Seeufer erweitert. Die Zürcher Fanzone unterteilt sich in kostenlose Stehbereiche, knapp 3000 Sitzplätze auf der überdachten Tribüne, die bereits seit Februar für 15-20 Franken im Vorverkauf erhältlich sind, und unterschiedlich exklusive Medien- und VIP-Bereiche. So wird es am Tribünenrand sieben „VIP-Sky-Boxen“ und 15 so genannte „Party-Boxen“ (3) geben; auf dem See schwimmt eine Hospitality-Plattform, die über eine Fußgängerbrücke mit den VIP-Bereichen der Haupttribüne verbunden ist. Den räumlichen Prinzipien des Stadions entsprechend wird hier also auch der Stadtraum einer Veranstaltungslogik unterworfen, die die Zuschauer nach Kundengruppen klassifiziert. Denn mit den neuen städtischen Schauplätzen erweitern sich auch die Vermarktungsmöglichkeiten der privaten Veranstalterin. Dem Beispiel der WM 2006 folgend haben in Schweizer Fanzonen die UEFA-Sponsoren exklusive Werberechte: Als „Commercial Display“ unterhalten in Zürich zum Beispiel das „Continental Safety Center“, die „Carlsberg Relax-Zone“ oder die „Canon Euro Wall“ die vergnügungssüchtigen Fans (4). Dass zudem keine Produkte von Konkurrenzunternehmen verkauft werden dürfen, führte in Basel und Bern, wo die Fanzonen zum Teil direkt von den anliegenden Häuserfronten begrenzt werden, bereits zu langwierigen Konflikten mit lokalen Gaststätten um den Bierausschank: Biergärten innerhalb der Fanzone am Basler Rheinufer, deren Betreiber sich weigern, ausschließlich Carlsberg zu verkaufen, sollen nun während der Spiele mit einem 2,20 Meter hohen Zaun vom Public Viewing und vom Rheinblick ausgeschlossen werden.

Als Vorbote der EM fährt bereits seit November eine „Carlsberg-Euro 08-Tram“ durch Zürich – wohlgemerkt Carlsberg alkoholfrei. Inzwischen wird sie von einer Fan-Tram der Fluglinie Swiss, einer Credit-Suisse-, einer Coca-Cola-Tram begleitet (5). Der Gesamtprojektleiter der Euro 08 in Zürich, Daniel Rupf, freut sich, dass es außerhalb der Fanzonen zumindest keine Protokollstrecken oder Bannmeilen in der Stadt geben wird, die von Fremdwerbung befreit werden müssen, wie es zur WM 2006 in Deutschland der Fall war. Die UEFA hat ihren Sponsoren lediglich ein Vorkaufsrecht auf große städtische Werbeflächen gesichert (6). „Es ist natürlich auch eine positive Unterstützung, dass Weltmarken auf Zürich setzen und hier investieren“, sagt Maurus Lauber, Leiter des internationalen Marketings der Euro 08 bei Zürich Tourismus. „Das ist, als ob Sie sich ein Magazin anschauen und darin hat es überhaupt keine Inserate, oder nur billige, selbstgemachte. Es  ist schließlich keine lokale Heizungsmonteurfirma, die hier Werbung macht, sondern das sind Weltmarken.“ (7) Aber auch Schweizer Großunternehmen wie die Swiss, die UBS und die Einzelhandelsketten coop und Migros springen auf den Euro-Zug auf – als offizielle Partner oder als Trittbrettfahrer. So lotet die Migros mit ihren Ambush-Marketing-Strategien den vollen Rechtsspielraum aus, um ihre Migros-Familienparks zur EM in den Deutschschweizer Austragungsstädten zu  realisieren.

Das Event und seine Veranstalterin profitieren also von der Stadt in vielfacher Weise: als maßgebliche Erweiterung des Veranstaltungsraums, als Bühne und Kulisse, als Erlebnis- und Konsumraum, wie auch als Werbeträger und Sponsorendisplay. Zudem lässt sich die UEFA diese Nutzung durch öffentliche Gelder und Dienstleistungen finanzieren: Die Stadt Zürich zahlt etwa acht Millionen Franken für veranstaltungsbedingte Maßnahmen im Bereich der Organisation, der Sicherheit, des Verkehrs und der Entsorgung. Wesentliche öffentliche Leistungen werden dabei schon auf Bundesebene getragen, wo insgesamt 82,5 Millionen Franken für die Kosten der EM 2008 bereitgestellt wurden. Die finanzielle Beteiligung der UEFA an Fanfesten und öffentlichem Verkehr ist dagegen marginal. „Es ist das allgemeine Schlagwort, dass die Gewinne privatisiert und die Ausgaben demokratisiert werden“, sagt Daniel Rupf. „Denn die UEFA und Die FIFA haben mit diesen Megaanlässen eine klare Monopolstellung, die sie diesbezüglich auch ausnutzen. Aber diese Spielregeln waren von Beginn an klar.“ (8)

Die Stadt als Erlebnisraum

Wie lässt sich nun der grundlegende Trend zum kollektiven Erleben in städtischen Räumen bewerten, der den individuellen TV-Konsum der Spiele im Privatraum zunehmend ersetzt? Gipfelt hier die Renaissance der Städte in der ultimativen Aneignung und im Zelebrieren öffentlicher Räume oder findet mit der temporären Privatisierung der Fanzonen und der Dominanz privater Unternehmensinteressen genau das Gegenteil statt? Regina Bittner spricht von einer „Obsession für den urbanen Raum“ in der Erlebnisgesellschaft: „Stadt und Event scheinen in der postindustriellen Gegenwart aufs Engste miteinander verknüpft zu sein. Das neue Interesse an der Stadt speist sich aus dem Erlebnishunger der heutigen Zeitgenossen, einem Erlebnishunger, den die Sehnsucht nach Ort und Identität antreibt.“ (9) Gerade der zunehmende Verlust lokaler Verankerung und die Enträumlichung sozialer Beziehungen fördere die Konstruktion von lokalen Identitäten und den „Umbau der Stadt zum Erlebnisraum“. Für Christian Schmid, Stadtgeograf an der ETH Zürich, sind urbane Großevents die Motoren einer Kommodifizierung des Städtischen: Um die reichen und vielfältigen Erfahrungen, die die Stadt verspricht, konsumierbar und verwertbar zu machen, werden diese standardisiert und damit ihrer eigentlichen Qualitäten beraubt. (10) „Das Spektakel ist der Moment, in welchem die Ware zur völligen Beschlagnahme des gesellschaftlichen Lebens gelangt ist. Das Verhältnis der Ware ist nicht nur sichtbar, sondern man sieht nichts anderes mehr: die Welt, die man sieht, ist seine Welt,“ schreibt Guy Debord bereits 1967. (11)

Die Eventisierung der Stadt

Die Frage, warum die Städte die hohen Belastungen der Austragung großer Sportevents auf sich nehmen, warum sie um diese Events sogar mit allen Mitteln konkurrieren und warum sie sich von privaten Organisationen die Bedingungen diktieren lassen, stellt sich heute offenbar niemand mehr. Der Gewinn für die Standorte scheint auf der Hand zu liegen, obwohl die oft ins Feld geführten direkten und mittelfristigen ökonomischen Effekte schon in verschiedenen Studien fundiert bezweifelt worden sind (12). „Wir sind überzeugt, dass das EM-Marketing eine langfristige Investition ist,“ sagt Maurus Lauber von Zürich Tourismus. „Von der Tourismusseite sind wir uns sogar bewusst, dass wir im Juni 2008 wohl weniger Gäste haben werden als im Juni 2007 – trotz Euro. Der Geschäfts- und Kongresstourismus findet in diesem Juni kaum in Zürich statt, was für uns bedeutet, dass wir kurzfristig nicht als Gewinner vom Platz gehen. Aber unser Ziel ist es ja, Zürich langfristig positiv zu positionieren, und die Euro ist dafür das Sprungbrett.“ Weiter erklärt er: „Zürich ist am drittgrößten Sportevent der Welt aktiv beteiligt, das bringt viele Projekte voran, die sonst gar nicht möglich gewesen wären. Das Stadion Letzigrund wäre nicht in dieser kurzen Zeit durch alle Instanzen gegangen, wenn da nicht die Euro im Hintergrund gewartet hätte. Ebenfalls sitzen bei so einem Großprojekt viele Leute zusammen, die vorher nie miteinander geredet haben, ob das jetzt auf der Ebene der Sicherheit, des Verkehrs oder des Marketings ist. Man wird gemeinsam stark, auch für die Zeit nach der Euro.“ (13)  Die mediengerechte Inszenierung der Stadt im globalen Standortmarketing, die Schaffung neuer Trägerorganisationen, die Verkürzung der Entscheidungsprozesse und die Mobilisierung sämtlicher Kräfte nennen Hartmut Häußermann und Walter Siebel bereits 1993 als zentrale Motivationen für eine „Festivalisierung der Stadtpolitik“, mit der das Großereignis zum Instrument der Stadtentwicklung gemacht wird. Ein „inszenierter Ausnahmezustand“ wird strategisch genutzt, um Aufmerksamkeit zu generieren, die Ressourcen auf populäre Projekte zu konzentrieren, einen breiten Konsens zu stiften und neue Governance-Modelle zu erproben (14).

Auch Martin Heller, Zürcher Kultur- und Eventmanager und ehemaliger Leiter der Schweizer Expo 02, sieht eine wichtige Chance darin, „dass solche Events eine Art Ausnahmezustand generieren, in dem einiges möglich ist, was sonst nicht denkbar wäre. Der Alltag ist schon zäh genug. Besonders für das schwierige Verhältnis zwischen lokaler Entwicklung und nationaler Steuerung im föderalen System der Schweiz sehe ich alle Aufgaben, die von außen gestellt werden, als Chance, Neues zu lernen. Wie bei der Expo 02 ist die Durchführung eines solchen Anlasses auch immer so etwas wie die Simulation eines Ernstfalles, der die Mobilisierung von gemeinsamen Kräften erfordert.“ (15) Luzius Theiler, Stadtrat und Mitglied des „Komitee gegen €-08-Diktat“ in Bern, das ein Referendum gegen die städtischen EM-Ausgaben initiierte, beschreibt die Rhetorik des Ausnahmezustands dagegen weniger als eine bewusst angenommene Herausforderung, sondern vielmehr als ein „Naturereignis“, das über die Stadt hereinbricht und den Regierenden als Legitimation dient, im Namen des Fußballevents demokratische Prozesse und geltende Gesetze außer Kraft zu setzen (16). Die wenigen Kritiker der Euro 08, die nicht in den Konsens einstimmen, werden schnell als Spielverderber und kleinkarierte Miesmacher stigmatisiert. Mit „Fügt dieser Stadt keinen Schaden zu“ zitiert der Zürcher Tages-Anzeiger am 8.11.2007 die Reaktion des Stadtpräsidenten Elmar Ledergerber auf Kritik an der EM-Durchführung in Zürich. Gegen die Verkehrssperrungen im Umfeld der Fanzone hatte sich eine starke Opposition aus BewohnerInnen und Gewerbetreibenden des angrenzenden Stadtteils Seefeld formiert. Während sich hier eher konservative Kräfte zum Sprachrohr der Kritik machten, wurde das Referendum in Bern wie auch ein Referendum gegen die UBS-Arena in Winterthur von linken Splitterparteien vorangetrieben. Die Abstimmungsergebnisse zeigten, dass die Wahlbevölkerung dem Event insgesamt relativ kritisch gegenüber steht: Fast 48% der WählerInnen in Bern stimmten gegen die städtischen Ausgaben und mit 56 % der Stimmen wurde die UBS-Arena in Winterthur gekippt.

Seit Sommer 2007 wird in den Medien wiederholt Besorgnis über die fehlende Vorfreude in der Schweizer Bevölkerung geäußert. Folgt man den Thesen Häußermanns und Siebels, dass die Festivalisierung „die Strategie des Schwächeren“ in Stagnation und Krise ist, könnte man die Frage stellen, ob die Schweiz und Zürich die Euro überhaupt brauchen. Denn was kann man an einer „Global City“, die sich in diversen Städterankings auf einem der Spitzenplätze befindet, noch aufwerten? „ Zu denken, wir seien eh schon Weltmeister, ist in der Tat ein Schweizsyndrom - Sattheit aus dem Wohlstand heraus,“ sagt Martin Heller. „ Klar ist es weit schwieriger, unter diesen Bedingungen einen Wandel zu generieren als aus der Mangellage. Doch auch innerhalb des Wohlstands ist auf einem höheren Level durchaus Beweglichkeit gefragt, unter den Bedingungen der Globalisierung erst recht. Aber Sie müssen dafür eine ganz andere Rhetorik und Argumentationsarbeit entwickeln.“ Trotz Wohlstand und fehlender Krise geht Zürich seit vielen Jahren von einem städtischen Ausnahmezustand in den nächsten: Zürifäscht, Streetparade, Sechseleuten, Zürich Marathon, Theater Spektakel, freestyle.ch oder Sylvesterfeier am Seebecken – der Einsatz von Großevents ist bereits inflationär geworden.

Stadtmarketing: Die Chance nutzen

Auch im Standortmarketing wird mit der Rhetorik des Ausnahmezustands argumentiert: Da dieses Land in den nächsten 50 Jahren keine Europameisterschaft mehr erleben werde, müsse die „einmalige Chance“ jetzt aktiv genutzt werden. Die enorme Aufmerksamkeit für das „weltweit drittgrößte Sportevent“ soll auch auf den Standort Schweiz und die Host Cities gelenkt werden, um eine nachhaltige Imageaufwertung und ein größtmögliches „Return on Investment“ zu erzielen (17). Gleichzeitig dürfe man sich aufgrund der weltweiten Ausstrahlung keine Fehler erlauben: „Wir haben nur eine Chance, einen perfekten Eindruck zu hinterlassen,“ sagt Maurus Lauber (18).

Wie in Österreich darf auch in der Schweiz jede Host City ein eigenes Euro 08-Logo führen – innerhalb eines festgelegten Gestaltungsrahmens. Daneben lancierten die Austragungsstädte individuelle EM-Slogans, wie etwa „Bern wirkt Wunder“, „Basel, mehr als 90 Minuten“ oder „Wir leben Zürich“; parallel wirbt die Schweiz mit der Kampagne „Entdecke das Plus“. Die Spielorte werden als „nationale Schaufenster und Visitenkarten“ (19) begriffen, aber trotz einer engen Zusammenarbeit tritt letztlich jede Stadt für sich an und steht als Übernachtungsort in Konkurrenz zu den anderen Host Cities. Gleichzeitig befinden sich auch die Austragungsländer in direkter Konkurrenz. Wird dem immensen Medieninteresse nicht mit dem Einsatz gezielter Marketinganstrengungen begegnet, befürchtet man den „Korea-Effekt“ – dass nämlich, wie bei der WM 2002 in Japan und Korea ein Austragungsland (Korea) mit den entsprechenden Investitionen den Großteil der Aufmerksamkeit für sich gewinnt und das andere (Japan) das Nachsehen hat, „was angesichts des in Marketingbelangen bekanntlich sehr professionell und geschickt vorgehenden Partners Österreich ein durchaus realistisches Szenario darstellt.“ (20) Denn das Stadtmarketing in der Schweiz ist noch vergleichsweise unterentwickelt. Während der Bund für die Landeswerbung ein Budget von zehn Millionen Franken vorsieht und die Stadt Zürich fünf Millionen Franken für das Marketing ausweist, wovon nur zwei Millionen in die internationale Kommunikation fließen, „hat zum Beispiel das Land Kärnten mit Klagenfurt als Austragungsort alleine für das Standortmarketing EURO 2008 € 13 Millionen gesprochen“ (21). Zürich hat erst vor sieben Jahren begonnen, ihre Marke („Downtown Switzerland“) und ihr Markenimage bewusst zu entwickeln. Zur Euro 08 richtet sich Zürich vor allem mit Medienarbeit an die ausländische Presse. Dabei will sich die Stadt als „dynamischer und kreativer Erlebnis- und Wissensstandort“ präsentieren, als bevorzugten Standort für Tourismus, Arbeitsplätze, Investitionen und Einwohner – es möchte die „Zürich-Story“ und „die im Zürich Themenwelt-Ausschuss festgelegten Schwerpunkte“ zielgruppengerecht verbreiten (22).

Fußball und die Marke Zürich

Doch ist es möglich, mit einem Fußballevent ein Land oder eine Stadt zu profilieren? Wie kann ein generisches, nicht ortsspezifisches Ereignis die spezifischen Qualitäten einer Stadt kommunizieren? „Wir machen nie Werbung für die Euro“, sagt Maurus Lauber von Zürich Tourismus, „wir möchten die Euro als Sprungbrett nutzen: Der Scheinwerfer leuchtet auf Zürich und dass dann die richtigen Dinge im Scheinwerferlicht sind, vor während und nach der Euro, das ist die große Herausforderung. Die Euro 08 ist wie Weihnachten: Der Rahmen ist gegeben, aber jeder versucht, das Beste daraus zu machen.“ (23) Martin Heller sieht die EM ebenso als universales Produkt, bestimmt von den Regeln der UEFA, das man einer Stadt einfach überstülpen könne und das lediglich Gefäße wie ein Stadion und öffentliche Räume benötige. Die Chance, den Anlass bewusst für sich zu definieren und sich mit der Euro national oder als Stadt zu positionieren, sei in der Schweiz längst versäumt worden (24). Ob aber das Massenerlebnis Fußball überhaupt mit der hochklassigen „Marke Zürich“ und dem Luxus-Image der Schweiz in Einklang gebracht werden kann, wird mitunter bezweifelt: „Als progressive, multikulturelle Metropole möchte Zürich Wissenschaftler, Designer, Mediziner beherbergen, kreative Menschen, nicht Fußballhooligans“ sagt der Kommunikationsfachmann Thomas Sevcik. Die Schweiz sei „Eine Premium-Marke, mit einer Premium-Kundschaft“ (25). Lauber sieht da keinen Widerspruch: „Wenn man sieht, was ein Ticket kostet, sind wir sowieso im Luxus-Segment.“ Vielmehr könne sich das ausgelassene Fußballfest durchaus noch positiv auf das Image auswirken: „Die Leute feiern auf der Straße und die Medien berichten darüber. Das kann sicher auch von der Schweiz ein neues Bild vermitteln: Das sind nicht nur Bergbauern auf der Wiese, sondern das sind junge, fröhliche, aufgestellte Menschen, die das Event in den Stadtzentren zelebrieren.“ Das neue Image von Zürich als vibrierende Trend- und Erlebnisstadt sei international noch nicht ausreichend kommuniziert. (26) Auch für Martin Heller ist „so eine Euro ist ja kein billigster Massentourismus, sondern ein relativ hochwertiger Anlass. Also könnte man sagen, wir möchten eine qualitätvolle Euro, wir möchten im Umgang mit dem Stadtraum etwas setzen, was interessant ist, denn wir können uns das leisten. Zudem sind Bilder von Zürich mit der Street Parade schon genauso selbstverständlich wie die hohen Quadratmeterpreise in der Bahnhofstraße.“ (27)

Der Stadtraum spielt in diesem Marketing eine ganz neue Rolle: Wenn die Host Cities die Visitenkarten des Landes darstellen, werden die Fanzonen zu den Schaufenstern der Städte. Die Stadt wird durch ihr Public Viewing, nicht mehr durch das Stadion repräsentiert und sie nutzt dies, indem sie der Fanzone eine repräsentative Kulisse mit städtischen Wahrzeichen einräumt und dabei selbst die Kameraperspektiven mitbestimmt. „Das Stadion könnte irgendwo sein,“ sagt Maurus Lauber. „Stattdessen steht jetzt die Stadt im Zentrum: als Kulisse und Ort, wo sich die Fans am wohlsten fühlen – die Bilder nehmen sie mit nach Hause. Diese Chance sollte die Stadt nutzen und sich entsprechend inszenieren, um als zweites Stadion wahrgenommen zu werden. Warum zum Beispiel könnte man nicht die Tagesschau am 17. Juni mit 40 Millionen Zuschauern vor dem Spiel Italien-Frankreich aus der Fanzone von Zürich senden – mit Bildern vom Zürichsee und den schneebedeckten Alpen im Hintergrund?“ (28)

Marketing nach Innen

Neben dem internationalen Standortmarketing räumt Zürich dem Marketing nach Innen, also der Kommunikation und den Angeboten, die sich an die eigene Bevölkerung richten und die sich innerhalb der Stadt und des städtischen Raums abspielen, eine große Bedeutung ein. „Die Bevölkerung soll und darf sich mit dem Fußballfest identifizieren und gleichzeitig aktiv partizipieren.“ (29) Schon der EM-Slogan „Wir leben Zürich“ richtet sich explizit an die EinwohnerInnen der Stadt und nutzt bewusst die integrative Kraft des „Wir“. Die Identifikation mit der Stadt soll über kulturelle und soziale Unterschiede hinweg gestärkt werden. Mit soziokulturellen Projekten in Schule und Sport im Vorfeld der EM und mit der Volunteer-Rekrutierung sollen explizit Jugendliche, „Secondos“ (die zweite Einwanderergeneration) und ausländische Erwerbslose in Zürich angesprochen werden. Weitere Maßnahmen nach Innen bilden Einstimmungs- und Informationskampagnen, ein breit gefächertes Rahmenprogramm und das „Host City Dressing“, die feierliche Inszenierung der Stadt während des Turniers. Zwar möchte man keine „organisierte Begeisterungs- und Jubelkampagne“ starten, doch wünscht man sich eine „begeisterte und positive Stimmung“ in der eigenen Bevölkerung, da diese „das wichtigste Sprachrohr“ der Stadt darstelle: „Denn wer könnte das Image und die Botschaften Zürichs unmittelbarer in die Welt hinaustragen als die Stadtzürcherinnen und Stadtzürcher, indem sie diese vorleben und somit dokumentieren, dass die zuvor geweckten Erwartungen bei den Gästen, wozu auch die Medienvertreter zählen, auch wirklich erfüllt werden?“ (30) Insofern ist die Kommunikation nach Innen eine weitere Maßnahme für das Standortmarketing: Die Begeisterung soll von den BewohnerInnen direkt an die Gäste weiter gegeben werden. Deutschlands WM-Slogan „Die Welt zu Gast bei Freunden“ und die Stimmung während der Spiele wird heute noch neidisch bewundert. Mit Kampagnen wie „Du bist Deutschland“ wurde dort die WM 2006 gleichzeitig genutzt, um auf nationaler Ebene eine Aufbruchstimmung zu erzeugen, die einem wirtschaftlichen Aufschwung vorausgehen sollte. – Häußermann und Siebel sprechen von der „Inszenierung von Gemeinsinn“, um eine „Masse zu begeistern und Folgebereitschaft zu erzeugen“. Die Mobilisierung von politischem Konsens scheint in der individualisierten und sozial fragmentierten Gesellschaft nur noch über populäre Großevents möglich zu sein. (31) Auch Guy Debord sieht das Spektakel als „Vereinigungsinstrument“, doch die „Vereinigung, die es bewirkt, ist nichts anderes als eine offizielle Sprache der verallgemeinerten Trennung“ (32).

Mit der Eventisierung der Stadt, das heißt mit der Instrumentalisierung von Großevents für die Stadtentwicklung, wird die Stadt also zu einem mentalen Konstrukt, das lokale Identität stiften soll, wie auch zu einem Logo oder Medienimage, um die Qualitäten der Stadt formelhaft oder emotional aufgeladen nach außen zu kommunizieren. Dieser Virtualisierung des Städtischen steht die Urbanisierung großer Fußballevents gegenüber, die, in entgegengesetzter Richtung, den physischen Qualitäten des Stadtraums innerhalb dieses mediendominierten Ereignisses eine neue Rolle einräumt. Die tatsächliche Präsenz, Erlebnis und Atmosphäre in der Stadt sind Teil einer konkreten Erfahrung, die aber wiederum von zahlreichen Bildern begleitet wird, seien es die Medienübertragungen, die Werbedisplays oder die städtische Kulissen. Gleichzeitig wird die Art des Erlebens durch die vorauseilenden Versprechungen – „Expect Emotions“ lautet der offizielle UEFA-Slogan – und den Versuchsaufbau von Public Viewing, Fanmeilen und Rahmenprogramm bereits vorgegeben. So stehen die Eventisierung der Stadt und die Urbanisierung des Events in einem komplementären Verhältnis – sie sind zwei Seiten der gleichen Medaille: Das Versprechen und seine Einlösung, die Produktwerbung und sein Konsum, die Vermarktung und die Kommodifizierung des Urbanen. Der Ausnahmezustand dient dabei als rhetorisches Mittel zur maximalen Verwertung des Events indem er Ausnahmeregelungen, Sonderzonen und Maßnahmen generiert, die unter normalen Umständen nicht möglich wären.

(1) Im englischen Sprachraum würde man diesen Begriff so nicht einsetzen. Im Amerikanischen bezeichnet public viewing etwa die öffentliche Aufbahrung eines Verstorbenen (s. http://de.wikipedia.org/wiki/Public_viewing).
(2) Das Public Viewing wird auch in der Schweiz noch als präventive Maßnahme mit Ventilfunktion dargestellt, die das Aggressionspotenzial durch Unterhaltung und Aktivitäten binden soll (s.: Teilprojektleitung Sicherheit Öffentliche Hand UEFA EURO 2008: „FAQ Sicherheit EURO 2008“, 2007, www.switzerland.com)
 (3) Zürichs Absicht ist es erklärtermaßen, diese exklusiven Bereiche nicht allein Ehrengästen oder Sponsoren vorzubehalten. Man möchte es vielmehr auch „normalen“ Zürcher BürgerInnen zu einem bezahlbaren Preis möglich machen, sich eine VIP-Box für sich und seine Freunde zu mieten (Interview mit Daniel Rupf, dem Gesamtprojektleiter der Euro-08 in Zürich, 11.01.2008).
(4) Siehe:
http://euro.zuerich.com/de.cfm/euro2008/publicviewing/uefafanzone/
(5) Großflächige Werbung an Verkehrsmitteln ist in  Zürich bislang ein relativ seltenes Phänomen.
(6) Interview mit Daniel Rupf, 11.01.2008
(7) Interview mit Maurus Lauber, 28.01.2008
(8) Radiogespräch mit Daniel Rupf, Sendung Kontext, DRS 2, 03.04.2008
(9) Regina Bittner: „Die Stadt als Event“, in: dies. (Hrsg): Die Stadt als Event, Frankfurt/New York: Campus 2001, S. 16.
(10) Podiumsveranstaltung „Schauplatz. Stadt, Event und Vermarktung“ in der Reihe Fancity 2008, Rote Fabrik, Zürich, 26.03.2008.
(11) Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, Hamburg: Edition Nautilus, 1978, Absatz 42
(12) Siehe u.a.: Karl Brenke und Gert Wagner: Zum volkswirtschaftlichen Wert der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, Berlin: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, April 2007 (www.diw.de/deutsch/produkte/publikationen/researchnotes/docs/papers/rn19.pdf)
(13) Interview mit Maurus Lauber, 28.01.2008
(14) Hartmut Häußermann und Walter Siebel: „Die Politik der Festivalisierung und die Festivalisierung der Politik. Große Ereignisse in der Stadtpolitik“, in: dies (Hrsg.): Festivalisierung der Stadtpolitik. Stadtentwicklung durch große Projekte, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1993.
(15) Interview mit Martin Heller, 07.01.2008
(16) Podiumsveranstaltung „Schauplatz. Stadt, Event und Vermarktung“ in der Reihe Fancity 2008, Rote Fabrik, Zürich, 26.03.2008.
(17) Stadt Zürich, Präsidialdepartement: Weisung zum Objektkredit Euro 2008 an den Stadtrat, Zürich, 2006 (www.zuerich.com/files/get.cfm?id=4680)
(18) Interview mit Maurus Lauber, 28.01.2008
(19) Stadt Zürich, Präsidialdepartement: Weisung zum Objektkredit Euro 2008 an den Stadtrat, Zürich, 2006 (www.zuerich.com/files/get.cfm?id=4680)
(20) ebd.
(21) ebd.
(22) ebd.
(23) Interview mit Maurus Lauber, 28.01.2008
(24) Interview mit Martin Heller, 07.01.2008
(25) zitiert in: Miklós Gimes: „Euro 0815“, Das Magazin, Nr. 37, 2007, S. 29
(26) Interview mit Maurus Lauber, 28.01.2008
(27) Interview mit Martin Heller, 07.01.2008
(28) Interview mit Maurus Lauber, 28.01.2008
(29) Stadt Zürich, Präsidialdepartement: Weisung zum Objektkredit Euro 2008 an den Stadtrat, Zürich, 2006 (www.zuerich.com/files/get.cfm?id=4680)
(30) ebd.
(31) Hartmut Häußermann und Walter Siebel: „Die Politik der Festivalisierung und die Festivalisierung der Politik. Große Ereignisse in der Stadtpolitik“, in: dies (Hrsg.): Festivalisierung der Stadtpolitik. Stadtentwicklung durch große Projekte, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1993.
(32) Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, Hamburg: Edition Nautilus, 1978, Absatz 3


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