fan city 2008, der spielplan zum event
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Das Stadion als urbanes (Trainings)Lager.
Neoliberalismus und die Kommerzialisierung der Kontrolle

Volker Eick und Jens Sambale, erschienen in: „Heimspiel. Standort - Sport – Spektakel“, Berlin: NGBK, 2006

»Die Verhinderung der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland, das ist ein Thema! Des deutschen Lieblingskind Fußball wegnehmen, dann werden alle erst richtig zornig«, weiß der Autonome Antonio schon im Frühjahr 2000. In Berlin diskutierte er in einer Gruppe Autonomer die Zukunft der militanten Bewegung und »wichtige Zukunftsthemen« (interim, 2000: 25). Über den Gewinn zorniger Deutscher für die Bewegung schweigt Antonio sich aus, aber für flächendeckendes Geplapper zu Fußball-WM 2006TM sind – hier wie dort – zahlreiche Events und Publikationen (wie dieser Beitrag) beredter Beleg. Anschaulich haben dagegen bundesrepublikanische Fußballfans schon lange vor dem Hype um die WM ihre Wochenenden beschrieben: »Ob Videoüberwachung öffentlicher Plätze, das Anlegen europaweiter Dateien zur Überwachung von unangepassten Gruppen oder der vermehrte Einsatz privater Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum […], oftmals dienten die im Fußballumfeld "getesteten" Sicherheitstechniken als Grundlage« (BAFF, 2005: 9). Und in der Tat zeichnen sich Parallelen zwischen dem ab, was auf Bahnhöfen und in Fußballstadien erprobt und dann in der urbanen Fläche umgesetzt wird: Das Stadion kommt in die Stadt.

Denn Metropolen haben sich ähnlich wie Stadien im Verlauf der vergangenen Jahre von integrativen zu exklusiven Wachstumsmaschinen entwickelt. Anschaulich zeigen das nicht nur der Umbau etwa (britischer) Fußballstadien zu Shopping Malls mit Tornetz-Anschluss, sondern vor allem die gezielten Preis-, Marketing- und Architekturstrategien, die auf eine neue, kaufkräftigere und nicht mehr allein männliche Klientel zielen (Nash, 2000). Dieser Prozess wird im Zuge der Neoliberalisierung seit den 1990er Jahren von der Ausbildung einer (inter)nationalen Städte- und Stadienhierarchie und der Polarisierung der Städte im Innern begleitet. Im Kontext einer sich Standortkonkurrenz und Benchmarking verpflichtenden unternehmerischen Stadtpolitik kommt es in stadträumlicher Hinsicht zur Ausbildung von Wohlstandsenklaven auf der einen und Armutsinseln auf der anderen Seite, die in betriebswirtschaftlicher Logik aus der Kommerzialisierung kommunalen Eigentums und der (Re)Kommodifizierung öffentlicher Räume und Güter gespeist werden. Die neuen Fußballstadien sind quasi Satelliten solcher Enklaven, und das Hamburger Stadion auf St. Pauli ist, so gesehen – wie der Stadtteil, eher ein widerständiges Relikt –, fordistische Folklore.

Räume erobern, überwinden, verteidigen: Urbaner Neoliberalismus

Sport ist seit jeher – ob im Römischen Empire oder im Mittelalter – auch ein Sicherheitsthema (Marschik et al., 2005). Tatsächlich ist das Reden über Hooligans der Klassen B und C eher Ausdruck von »Moralpaniken« (Cremer-Schäfer, 1993), denn die Kontrollambition in Fußball- und anderen Sportstadien hat sich in den vergangenen Jahren im Interesse der Profitmaximierung verändert und ist generell ein Testfeld für neue Identifikations- und Überwachungstechnologien des urbanen Raums geworden. Es geht um präventive Identifikation, Kontrolle und Festsetzung von Menschenmengen, gleich ob es sich um politische Aktivisten, Fußballfans oder "Überflüssige" handelt (STOA, 2000).
»Räume verteidigen, überwinden, erobern. Diese Staffelung im Raum kennzeichnet die differentielle Polarisierung der Konfrontationslinien«, schreibt Walter Prigge (1985). Für die Apologeten des Neoliberalismus, die die ökonomische Bedeutung des Raums (wieder) erkennen, vielleicht angesichts der Globalisierungsprozesse erkennen müssen, gilt das analog: Was Prigge feuilletonistisch fabuliert, wird bei Neil Brenner und Nik Theodore (2002) zur historischen Rekonstruktion und Systematisierung des Neoliberalismus: "erobern, überwinden und verteidigen" übersetzen sie als proto, roll back und roll out neoliberalism. Die 1970er Jahre sind danach vor allem vom Bedeutungsgewinn der Städte gekennzeichnet, in denen ökonomische Restrukturierungsprozesse und soziale Auseinandersetzungen, insbesondere in Hinblick auf die soziale Reproduktion (Hamel et al., 2000), an Bedeutung gewinnen (proto). In den 1980er Jahren beginnen die städtischen Verwaltungen, so genannte "Kosten reduzierende" Maßnahmen umzusetzen, öffentliche (Finanz)Dienstleistungen zurückzufahren und die Privatisierung öffentlicher Güter und Infrastrukturen voranzutreiben. Beispielsweise wurde in dieser Phase begonnen, den öffentlichen Wohnungsbau zu beseitigen; konsensuale Vereinbarungen, wie der sozialpartnerschaftliche Lohnkompromiss zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern (sowie der Regierung), die Umverteilung von Geldern von der Bundes- auf Länder- und kommunale Ebene wurden (und werden) aufgekündigt (roll back). Schließlich betrachten sie die 1990er Jahre als Reaktion auf die nicht intendierten Verwüstungen des Neoliberalismus, die nach einer Antwort verlangten (roll out). Auch wenn weiter der urbane Raum unter den Imperativen von Wachstum und Markt mobilisiert und diszipliniert wird: in dieser Phase werden flankierende Mechanismen und Programme zur Stabilisierung des Neoliberalismus etabliert, die zunächst wie neue Hoffnungen daher kommen. Dazu gehören Ansätze Lokaler Ökonomie und so genannte Community-orientierte Programme zur Linderung der Folgen sozialer Exklusion (Eick et al., 2004: 56-91). Gleichzeitig erproben die urbanen Eliten neue Formen der Koordination und Netzwerkbildung, die die zuvor parallel arbeitenden Abteilungen der Lokalverwaltungen und andere Stakeholder miteinander verzahnen (sollen). Schließlich vermarkten sie dabei soziale, politische und ökologische Argumentationsketten (und redefinieren sie dabei zugleich in ihrer Bedeutung), nicht zuletzt um die ökonomische Konkurrenzfähigkeit zu erhalten: Soziale Infrastrukturen, (partizipative) politische Kultur, vermeintlich ökologische Grundeinsichten und Fragen von Sauberkeit, Ordnung und Sicherheit (SOS) werden – wo immer möglich – in ökonomische Aktivposten für die neoliberale Stadt transformiert. Dieser Prozess kann als "umkämpftes Gelände" betrachtet werden, und Sportevents dienen auch der Durchsetzung solcher Handlungslogiken.

Zwischen Mall und Lager: Die Überwachung des Konsums

In dem Maße wie Sport von u.a. großen Medienunternehmen globalisiert und neoliberalisiert worden ist (Wright, 1999), wurden die eher proletarischen Zuschauermassen in den Stadien ökonomisch vergleichsweise uninteressant. Die Abschaffung des Publikums aber ist keine Option. Daher sind parallel neue Marketingkonzepte entwickelt worden, die die bisherigen Besucher solcher Events durch kaufkräftigere Besucher austauschen und den Sport insgesamt »reinlicher« machen sollen (Giulianotti & Robertson, 2004). Die Parallelen zur "Reinigung" der Innenstädte sind unübersehbar. Und zumindest für den britischen Fußball darf Stadiongewalt und "dritte Halbzeit" auch als eine Antwort der ausgegrenzten Fußballfans gelten (Armstrong & Guilianotti, 1998). »Die Fans werden ein ungeliebter Teil der Blatter-Operettenkultur, das werden die sich die Fans nicht gefallen lassen«, erwartet etwa der Soziologe Gunter Pilz (Borchers, 2005). Shopping Malls und die entsprechende Ver-Mallisierung von Fußballstadien, die Kommerzialisierung innerstädtischer Räume im allgemeinen und die "Reinigung" und Kommerzialisierung von Bahnhöfen im besonderen sind – wie die Festivalisierung des urbanen Raums – zentrale Bausteine der »revanchistischen Stadt« (Smith, 1996).
Während Berlin zur WM um das Olympiastadion vier Sicherheitsringe einrichtet und damit CCTV-überwachte Sicherheitszonen schafft, die ohne die Inszenierung kaum durchsetzbar wären, wird die Stadionumgebung während der Spiele zur no go area für alle, die weder Eintrittskarte noch FIFA-Akkreditierung besitzen (Paul, 2005: 22). Der Polizeiapparat wird aufgerüstet. So sind allein 85 Beamte  bereits jetzt in einer Sonderkommission "Aufklärung Fußball-WM" mit dem Auffüllen der Bundesdatei "Gewalttäter Sport", in die nun auch Graffiti-Sprüher eingespeist werden, beschäftigt. Die Bundeswehr kommt – anders als zur Fußball-Europameisterschaft, die 2008 in der Schweiz und Österreich stattfindet – dagegen nur zur logistischen Unterstützung und in den AWACS-Flugzeugen zur Luftraumüberwachung zum Einsatz. Weiter wird, was in den Stadien schon gang und gäbe ist, der gemeinsame Einsatz staatlicher und privater Polizei zunehmend in Form von Public private partnerships ausgeweitet.
So wie neue Technologien die weltweite Verbreitung und Vermarktung des Sports erst ermöglichten, so haben sie auch die Kontrollmöglichkeiten ausgeweitet. Techniken wie Videoüberwachung und RFID (Radio Frequency IDentification) zur Eingangs- und Bewegungssteuerung sowie -kontrolle setzen sich weltweit durch. Italien hat in der laufenden Saison personalisierte Eintrittskarten und lückenlose Videoüberwachung der Zuschauertribünen eingeführt. Großbritannien, Vorreiter in Sachen flächendeckenden Videoeinsatzes im öffentlichen Raum und in Fußballstadien, hat im Januar 2006 die Videoüberwachung im Osten Londons gar der dortigen Bevölkerung übertragen, die in 20.000 Haushalten mit 400 CCTV-Kameras ihre Nachbarschaft überwachen können (Weaver, 2006). Während die Ticketvergabepraxis der FIFA-Verantwortlichen kritisiert wird, haben die neuen Technologien bisher keine ernsthaften Akzeptanzprobleme. Circa 50 Millionen Interessenten (für drei Millionen Tickets in 64 Spielen) gab es bis Oktober 2005, zehn Millionen haben sich auf dem FIFA-Server mit Name, Geschlecht, Adresse und Personalausweisnummer registrieren lassen, eine Millionen von ihnen waren mit der Weitergabe ihrer persönlichen Daten auch an andere Unternehmen einverstanden (Behr, 2005). Die FIFA wird so zu einem der größten Datenhändler in der Bundesrepublik mit topaktuellen Daten – und zu einem der Vorreiter für die massenhafte Verbreitung einer neuen Technologie, die unter den Stichworten ubiquitous computing (Mark Weiser), pervasive computing (Industrie-Terminologie), ambient intelligence (EU-Jargon) diskutiert wird (Langheinrich & Mattern, 2003). In den Printmedien läuft die Vermarktung der Chips mit Überschriften wie »Joghurt an Kühlschrank: Bin abgelaufen!« (Kühne, 2004). RFID-Chips sind Funketiketten, die ausgestattet mit einer kleinen Batterie und einer Antenne kaum die Größe eines 2-Euro-Stücks überschreiten und, je nach Preis, eine Reichweite zwischen wenigen Zentimetern und mehreren Metern erzielen können – auf ihnen kann eine gewisse Anzahl von Daten gespeichert (wie eben die oben genannten Personaldaten der WM-Stadionbesucher) und an Rechner oder Lesegeräte zur Weiterverarbeitung übermittelt werden – wer wann was wo kauft und wohin transportiert, der Chip klärt auf, Bewegungsprofile inklusive. Für die flugticketgroßen Eintrittskarten hätte die alte Barstrichcode-Technologie völlig ausgereicht, wie auch die FIFA betont, doch sind, wie der Verantwortliche der Consulting Ticketing FIFA WM 2006™ betont, die in die Eintrittskarten eingebetteten RFID-Chips »natürlich auch Ausdruck von unseren Visionen. Wir wollten etwas Neues machen« (Behr, 2005). Während die Chips bereits zur Warenerfassung und in Skigebieten für den Liftzugang eingesetzt werden, ist ihr Einsatz im öffentlichen Raum bei Großveranstaltungen wie dem Kölner Weltjugendtag noch Neuland. Der W.I.S. Sicherheitsdienst hatte die Chips erfolgreich genutzt, um die 1.700 privaten Sicherheitskräfte und freien Mitarbeiter »für ihre Leistungsabrechnung zu überwachen« (Möller, 2005: 36). Geht es nach den Anbietern und den Beiträgen in der Fachpresse des Supply-Chain-Management und verläuft der WM-Einsatz zufrieden stellend, dann wird die neue Technologie zukünftig auch die Zugangs- und Aufenthaltskontrolle im innerstädtischen Raum verstärkt begleiten. Mal wieder ist der Fußball dafür das Einfallstor.



Literaturauswahl

Armstrong, G./R. Guilianotti 1998: From another angle: police surveillance and football supporters. In: C. Norris/J. Moran/G. Armstrong (Hg.): Surveillance, Closed Circuit Television and Social Control: 113-135.
BAFF. Bündnis Aktiver Fußball Fans (Hg.) 2005: Die 100 "schönsten" Schikanen gegen Fußballfans. Repression und Willkür rund ums Stadion, Grafenau.
Behr, W. 2005: Die FIFA Fußball WM 2006™ (Vortrag auf dem IZT Zukunftsgespräch "Pervasive Computing. Chancen und Risiken einer neuen Technologie", 26. Oktober), Berlin.
Borchers, D. 2005: WM 2006: Datenoperette oder Kampfplatz. Unter: http:www.heise.de/newsticker/65033.
Brenner, N./N. Theodore 2002: Cities and the Geographies of "Actually Existing Neoliberalism". In: Antipode, 34: 349-379.
Cremer-Schäfer, H. 1993: Was sichert Sicherheitspolitik? Über den politischen Nutzen steigender Kriminalität und ausufernder Gewalt. In: E. Kampmeyer/J. Neumeyer (Hg.): Innere Unsicherheit. Eine kritische Bestandaufnahme, München: 13-40.
Eick, V./M. Mayer/B. Grell/J. Sambale 2004: Nonprofit-Organisationen und die Transformation der lokalen Beschäftigungspolitik, Münster.
Giulianotti, R./R. Robertson 2004: The globalization of football: a study in the glocalization of the "serious life". In: The British Journal of Sociology, 55/4: 545-568.
Hamel, P./H. Lustiger-Thaler/M. Mayer (Hg.) 2000: Urban Movements in a Globalizing World, London.
Interim (Hg.) 2000: Runder Tisch der Militanten. Die RZ, die Vergangenheit und die Zukunft militanter Politik (Heft 498, 30. März), Berlin.
Kühne, U. 2004: Joghurt an Kühlschrank: Bin abgelaufen! In: Süddeutsche Zeitung, 3. April: 15.
Langheinrich, M./F. Mattern 2003:  Digitalisierung des Alltags. Was ist Pervasive Computing? In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 42: 6-12.
Marschik, M./R. Müllner/G. Spitaler/M. Zinganel (Hg.) 2005: Stadion. Geschichte, Architektur, Politik, Ökonomie, Wien.
McKenzie, E. 1994: Privatopia. Homeowner Associations and the Rise of Residential Private Government, London.
Möller, T. 2005: Das Armband als Erkennungsmerkmal. In: Sicherheitshalber, 4: 34-36.
Nash, R. 2000: The Sociology of English Football in the 1990s: Fandom, Business and Future Research. In: Football Studies, 3/1: 49-62.
Paul, U. 2005: Fußballer vertreiben Reiter und Schwimmer. In: Berliner Zeitung, 22. Oktober: 22.
Prigge, W. 1985: ZeitRaum Fußball. In: die tageszeitung, 12. Juli: 9.
Smith, N. 1996: The New Urban Frontier. Gentrification and the Revanchist City, New York/London.
STOA. Scientific and Technological Option Assessment (Hg.) 2000: Crowd Control Technologies (PE 168.394/FinSt.), Luxemburg.
Weaver, M. 2006: Residents given access to live CCTV footage. In: The Guardian, 11. Januar.
Wright, G. 1999: Sport and Globalization. In: New Political Economy, 1: 17-21.

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