Drohnen, Chips und Internierung.
Die Schweiz und Österreich wickeln die EURO 2008TM ab
– wie die Bürgerrechte
Volker Eick, erschienen in: „Heimspiel. Standort -
Sport – Spektakel“, Berlin: NGBK, 2006
Die 13. UEFA Fußballmeisterschaft vom 7. bis 29. Juni 2008
wird
die zweite in der Geschichte der
Fußball-Europameisterschaften
sein, die von zwei Ländern gemeinsam ausgetragen wird. Im Jahr
2000 waren die Niederlande und Belgien zusammen angetreten, 2002 wurde
erstmals auch eine Fußballweltmeisterschaft von zwei
Ländern, namentlich Japan und Südkorea, veranstaltet.
Die
Fußball-Europameisterschaft EURO 2008TM werden nun die
Eidgenossenschaft Schweiz und die Republik Österreich
durchführen. Auf der Strecke bleiben die
Bürgerrechte, die
durch neue Gesetze unterminiert werden. Die gegenwärtigen
Versuchsfelder sind neben den nationalen Ligaspiele vor allem der
Eishockeysport, beschlossen ist der Einsatz der Armee, strittig ist der
Einsatz israelischer Überwachungs-Drohnen und von Gummischrot.
Ein
Blick in die Schweiz.
Verletzte, Verprellte und Verlierer der WM 2006 sind noch nicht
gezählt, da wirft die Europameisterschaft (EM) ihre Schatten
bereits so weit voraus, dass wir erkennen können, wie deren
Organisatoren die Aufhebung der Bürgerrechte durch die
diversen
parlamentarischen Gremien geprügelt und den gemeinen Hooligan
zum
vermeintlichen Hauptgegner erkoren haben. Der nämlich sei in
beiden Ländern einer a) adäquaten und b) bitte auch
einer
möglichst gleichen Behandlung zu unterziehen. Selbst wer guter
Dinge, guten Mutes und gutwillig ist (»Noch Blödeln
braucht
nicht stumpf zu sein, kann selig als Dispens von den Selbstkontrollen
genossen werden«, Adorno), wird angesichts der
gegenwärtigen
Debatte an Blut und Spiele erinnert. Die öffentliche Debatte
um
die EURO 2008TM kennt nur zwei Themen: Return on Investment, von dem
der Schweizer Bundespräsident Samuel Schmid unlängst
meinte,
dem Profitdenken fehle gegenwärtig leider noch das
»Milieu
der Begeisterung« (1), und Sicherheit. Punkt.
Dass die Schweiz den Zuschlag für die EM bekam, ist wesentlich
den
beiden Hauptsponsoren Credit Suisse und der Winterthur AG zu danken,
vor allem das Bankhaus am Zürcher Paradeplatz hatte als
langjähriger Sponsor den Schweizer Fußballverband
unter
Druck gesetzt, sich im die Austragung der Spiele zu bewerben (2), ohne
freilich eine Kofinanzierung auch der EM zuzusagen, deren Hauptsponsor
jetzt das Bankhaus UBS ist (inkl. des kompletten Marketing-Programms,
des Ticketing und der der »Premium-Hospitality-Pakete
für
Endverbraucher«) (3). Für Profitabilität
ist also gesorgt,
zumal von den geschätzten Gesamtkosten, die
gegenwärtig auf
180 Mio. Schweizer Franken (ca. 116 Mio. €) veranschlagt
werden,
allein 64 Mio. auf den Sicherheitsbereich entfallen, den selbstredend
der Steuerzahler, nicht aber die FIFA oder die Privatwirtschaft zu
entrichten haben (4).
Knast für Kinder
Nicht in diese Kosten eingerechnet sind bisher die seit Januar 2006
verfügbaren israelischen Drohnen des Typs "ADS 95 Ranger" mit
ihren 4,6 Metern Länge und Kameraaufsätzen, die auch
Nachtaufklärung ermöglichen (5). Sie sollen zur
Überwachung
der Grenzen aber auch bei der EM eingesetzt werden, um, so die
Bundesrätin Ruth Metzler-Arnold, eine »wirksame
Bekämpfung des gewalttätigen Hooliganismus«
zu
ermöglichen (6). Diesem Ziel sowie »dem Herausholen
aus der
Anonymität und konsequente[m] Fernhalten potentieller
Gewaltaktivisten« dient auch die Einrichtung der nationalen
Datenbank "Hooliganismus", die Mitte Dezember 2005 im Nationalrat
diskutiert, mit großer Mehrheit verabschiedet und an den
Ständerat überwiesen wurde. Danach – und
die als
Prävention bezeichnete Datenbank ist Teil von
»kaskadenartig
abgestimmten Maßnahmen« (7), die von Rayonverboten
(Stadionverbot), Ausreisebeschränkungen (z.B. nach
Österreich) bis hin zu Meldeauflagen und Polizeigewahrsam
für
24 Stunden reichen – gelangt in die Datenbank, wer
»sich
anlässlich von Sportveranstaltungen im In- und Ausland
gewalttätig verhalten hat« oder wenn
»konkrete und
aktuelle Hinweise« darauf deuten, er könne das
beabsichtigen (8). Was immer das sei. Für die
betreffende Person kann
zudem ein Stadionverbot verhängt werden. In beiden
Fällen
bedarf es keines richterlichen Beschlusses oder einer Verurteilung.
In die Datei werden auch Jugendliche ab einem Alter von zwölf
Jahren aufgenommen; bei Polizeigewahrsam liegt das Mindestalter
allerdings bei 15 Jahren. Ein Antrag, das Gesetzespaket bis Ende 2008
zu befristen, wurde ebenso verworfen wie zunächst das Problem
umgangen wurde, dass das Gesetz als verfassungswidrig gilt (weil es die
Polizeihoheit der Kantone unterminiert) und zudem gegen die
Europäische Menschenrechtskonvention
verstößt (weil
kein Richter das Polizeigewahrsam überprüfen muss).
Was der
Schweizer grünen partei als »antiliberaler
Populismus«
gilt, wird vom Rechtsausleger und Bundesrat Christoph Blücher
als
»menschlicher« bezeichnet, »als wenn der
Richter
mobilisiert wird«. (9)
Biometrisches Testfeld mit Armeeanbindung
Anders als in der Bundesrepublik wird in Österreich (neben
3.200
zusätzlichen Polizisten) und in der Schweiz (neben 600
Polizisten
pro Spiel) die Armee »selbstverständlich
[…] zum Zuge
kommen« (10). Allerdings dürfe, so der
verantwortliche Kommandant
für die gesamten Sicherheitsplanungen, Martin Jäggi,
der
»Eindruck eines "Heerlagers" nicht entstehen« (11).
Im Sommer
2007 wird es einen Testlauf geben; geplant ist auch der Einsatz
deutscher und französischer Polizei. Der Testlauf solle auch
dazu
dienen, »keine zu eklatanten Unterschiede aufkommen zu
lassen.
Das wird, so weiß aber die Neue Zürcher Zeitung,
»nicht überall möglich sein, da
österreichische
Polizisten beispielsweise Gummischrot nicht einsetzen
dürfen«.
Munter geplant wird – man will ja wissen, auf wen man
schießt – auch der Einsatz von Video- und
biometrischer
Technologie. Gegenwärtig läuft etwa ein Modellversuch
zur
Gesichtserkennung in der Bern Arena bei Eishockeyspielen. Von allen
Besuchern werden die Gesichter mit Videokameras aufgenommen und
gespeichert, und mit der im Aufbau befindlichen Hooligandatenbank
abgeglichen; sowohl beim Einlass, während des Spiels und beim
Ausgang sind Kameras im Einsatz. Das Projekt des IT-Unternehmens Unisys
Schweiz soll auf seine Praxistauglichkeit hin getestet und zur
Europameisterschaft einsatzbereit sein (12). Mit Schweizer
Gründlichkeit. Dass insbesondere im Gesetz kein Wort zu
professioneller Fanbetreuung verloren wird, kann dabei kaum verwundern.
(1) "Bundespräsident Samuel Schmid: »Der
Politiker
verhält sich nicht wie ein Unternehmer«". In: Neue
Zürcher Zeitung vom 24. Dezember 2005, S. 44.
(2) Schiendorfer, Andreas 2002: "Die Schweiz wird zum
EUROland – im Fußball". Unter:
http://emagazine.credit-suisse.com
[31. März 2006].
(3) "UBS unterstützt EURO 2008TM". Unter:
http://de.uefa.com/news/newsId=380282,printer.htmx
[31. März 2006].
(4) "Fußball-EM kommt Zürich teuer zu
stehen". In: Neue Zürcher Zeitung vom 10. Dezember 2005, S. 37.
(5) "Schweiz erwägt Drohnen-Einsatz bei
Fußball-Europameisterschaft 2008". Unter:
http://shortnews.stern.de/
[31. März 2006].
(6) "Bundesgesetz über Massnahmen gegen Rassismus,
Hooliganismus und Gewaltpropaganda". Unter:
http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/dokumentation/red/2003/2003-02-120.html
[31. März 2006].
(7) "Hooligans in Sportstadien härter anfassen". In:
Neue Zürcher Zeitung vom 16. Dezember 2006, S. 37.
(8) "Sicherheit um Stadien und auf der Strasse". In: Neue
Zürcher Zeitung vom 16. Dezember 2006, S. 33.
(9) "Hooligans in Sportstadien härter anfassen". In:
Neue Zürcher Zeitung vom 16. Dezember 2006, S. 37.
(10) "Dramatische Kostenentwicklung". In: Neue
Zürcher Zeitung vom 10. Dezember 2005, S. 34.
(11) "Dramatische Kostenentwicklung". In: Neue
Zürcher Zeitung vom 10. Dezember 2005, S. 34.
(12) Sperlich, Tom 2005: "Biometrische Gesichtskontrolle
für die Fußball-EM 2008 geplant". Unter:
www.heise.de/newsticker/meldung/66649 [31.
März 2006].
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