Euro 08: Justiz, Polizei und Armee im Grosseinsatz
Viktor Györffy, erschienen in der Fabrikzeitung Nr.
240, Aril 2008
An der Euro 08 wird nicht
nur auf dem
Rasen voller Einsatz geleistet. Auch Justiz, Polizei und Armee werden
alles geben. Mit über 70 Millionen Franken Steuergeldern wird
gigantischer Kontroll- und Überwachungsapparat aufgebaut.
Zwischen
vierzig- und fünfzigtausend Bedienstete aus Polizei, privaten
Sicherheitsunternehmungen, Staatsschutz, Grenzwache und Armee sollen
zum Einsatz kommen.
Während der Euro 08 wird es landauf landab
«Fanzonen»
und «Public Viewing Zones» geben.
Öffentliche Strassen
und Plätze werden so in grossem Stil (teil-)privatisiert. Die
Städte haben nicht nur für die Übertragung
der Spiele
auf Grossleinwand zu sorgen, sondern auch dafür, dass die
Exklusivsponsoren der Euro 08 zu ihrem Recht kommen, sprich: nur ihre
Werbung zu sehen ist
und nur ihre Getränke ausgeschenkt werden. Wirte, die nicht
mitmachen, erhalten Absperrgitter vor die Gartenbeiz. Fans, die mit dem
T-Shirt der falschen Biermarke daherkommen, riskieren, aus der Fanzone
rauszufliegen. Für die Umsetzung der in diesen Zonen geltenden
Regeln sind in erster Linie private Sicherheitsdienste verantwortlich.
Mit Blick auf die Euro 08 ist das Staatsschutzgesetz
verschärft
worden («BWIS I» oder
«Hooliganvorlage»). Es
wurde eine Hooligan-Datenbank geschaffen. Die Kriterien für
einen
Eintrag in die Datenbank sind sehr zweifelhaft. So genügt eine
Beschuldigung durch einen Klubverantwortlichen oder eine polizeiliche
Anzeige. Die möglichen Folgen des Eintrags sind u. a. bis zu
24
Stunden polizeilicher Gewahrsam während einer
Sportveranstaltung,
Rayonverbot bis zu 12 Monaten und die Auferlegung der Verpflichtung,
sich zu bestimmten Zeiten auf einer Polizeistelle zu melden. Obwohl im
gesetzlichen Arsenal nicht vorgesehen will die Polizei Fans
überdies präventiv zu Hause oder am Arbeitsplatz
besuchen.
Die Justiz soll mittels Schnellverfahren vereinfacht werden. In
Zürich ist geplant, auf dem Kasernenareal eine eigentliche
«Haftstrasse» einzurichten. In eigens
dafür
aufgestellten Baucontainern walten Staatsanwälte,
Einzelrichter
und Polizisten ihres Amtes. Die Verhafteten kommen gefesselt rein und
anschliessend – mit oder ohne Strafbefehl – wieder
raus.
Bis zu 500 Personen will man so pro Tag abfertigen können.
In den letzten Monaten waren einige Polizeieinsätze gegen
Kundgebungen zu beobachten, die als eigentliche Probeläufe
für die Einsatzdoktrin während der EM erschienen
(u.a. in
Luzern am 1. Dezember 2007, in Bern am 19. Januar 2008 und in Basel am
26. Januar 2008). Ins Auge sprang dabei die Bereitschaft der Polizei,
massenhaft und präventiv Personen festzunehmen und
während
Stunden ohne genügenden Grund in Gewahrsam zu nehmen. Dass
jede
polizeiliche Kontrolle und Festnahme eigentlich eines zureichenden
Anlasses bedarf (z.B. Verdacht auf Begehung einer Straftat), wurde
dabei unter den Teppich gekehrt. Zwar wurden nach den
Einsätzen
von behördlicher Seite jeweils Fehler eingeräumt.
Bezeichnenderweise bezog sich dies aber praktisch nur auf die
Abläufe, die noch nicht recht funktionierten, und nicht auf
die
Einsätze an sich. Im Hintergrund mischte bei diesen
Polizeieinsätzen der Staatsschutz (Dienst für Analyse
und
Prävention DAP) kräftig mit, gab
Lageeinschätzungen ab,
belieferte die kantonalen Behörden mit Personendaten und liess
sich wohl auch Daten liefern.
Nachdem sich Schweizer Polizisten im Ausland haben schulen lassen (vor
allem bei deutschen Kollegen, die so ihre WM-Erfahrungen weiter geben
konnten), kommen während der EM Sicherheitskräfte aus
dem
Ausland bei uns zum Einsatz: Die Schweizer Polizeikräfte
sollen
mit Beamten aus Deutschland und Frankreich verstärkt werden,
die
Rede ist von 600 Polizisten. «Szenekenner» bzw.
Staatsschützer aus anderen Ländern werden ebenfalls
zugegen
sein. Der Schweizer Staatsschutz wird eine internationale
Informationsdrehscheibe einrichten, die rund um die Uhr laufen soll.
Die Armee wird während der EM vermutlich zu ihrem
grössten
Einsatz seit dem Zweiten Weltkrieg kommen. Was die Soldaten genau tun
sollen, ist bislang allerdings unklar. In Betracht gezogen werden eine
Verstärkung der Grenzwache, Leistungen in den Bereichen
Objektschutz und Logistik
sowie Unterstützung beim Personenschutz. Und
selbstverständlich will sich die Armee auf mögliche
Terroranschläge vorbereiten. Insgesamt sind die Angebote der
Armee
allerdings bei den Kantonen auf wenig Gegenliebe gestossen. Nur ein
Angebot werden die zivilen Behörden kaum
zurückweisen: den
Einsatz militärischer Aufklärungsdrohnen, also
unbemannten,
mit Kameras ausgerüsteten Flugobjekten. Auch sonst ist davon
auszugehen, dass Videoüberwachung in Stadien, aber auch im
öffentlichen Raum, grossflächig zum Einsatz kommen
wird.
Unter dem riesigen Dispositiv, das für die EM aufgezogen wird,
kommen Grundrechte wie die persönliche Freiheit und die
Privatsphäre stark unter Druck. Und es ist zu absehbar, dass
uns
einiges auch nach der EM erhalten bleibt. Bereits wird diskutiert, das
«Hooligangesetz», das eigentlich
befristet mit Blick auf die EM eingeführt worden ist, durch
eine
dauerhafte Regelung abzulösen. Darüber hinaus besteht
immer
die Tendenz, dass repressive Mittel, die einmal für eine
bestimmte
«Zielgruppe» entwickelt worden sind,
später auch auf
andere angewendet werden. Das Rayonver-
bot ist ein gutes Beispiel dafür. Ursprünglich fand
es sich
im Berner Polizeigesetz, später wurde es gesamtschweizerisch
im
Ausländerrecht eingeführt, findet sich nun im
«Hooligangesetz» und in immer mehr kantonalen
Polizeigesetzen. Die fragwürdige Polizeidoktrin, die in den
letzten Zeit an
Kundgebungen ausprobiert worden ist und nun gegen Fussballfans
angewendet werden soll, kann in Zukunft durchaus auch wieder bei
Kundgebungen zum Einsatz kommen. Und schliesslich reihen sich die
Massnahmen, die während der EM getroffen werden, nahtlos ein
in
die allgemeine Tendenz zu mehr Überwachung und Repression.
Davon
zeugt unter anderem die ständig wachsende Zahl von
Überwachungskameras. Auch der neueste Entwurf für
eine
weitere Revision des Staatsschutzgesetzes («BWIS
II») passt
hier hinein: Der Bundesrat will damit weitere Tabus aus der Zeit des
Fichenskandals aufbrechen und u. a. im Bereich Terrorismus die
Überwachung von Post, Telefon und Computer einführen.
Menschenrechtsorganisationen, Fangruppen, Anwältinnen und
Anwälte haben bereits begonnen, sich mit Blick auf die
bevorstehende EM zu organisieren. Es finden Informationsveranstaltungen
statt (in der Roten Fabrik die Veranstaltungsreihen Fancity2008,
www.rotefabrik.ch/fancity, und
Frühlingsüberwachen, www.bigbrotherawards.ch),
während
der EM sollen Aktionen durchgeführt werden. Es wird eine
Rechtshilfe eingerichtet, daran beteiligt sind u. a. die Demokratischen
Juristinnen und Juristen Schweiz, grundrechte.ch, augenauf, die
Rechtsauskunft Anwaltskollektiv und
das Pikett Strafverteidigung.
Viktor Györffy ist Rechtsanwalt in Zürich und
Präsident des Vereins grundrechte.ch
>>
djs-jds.ch
>>
grundrechte.ch
>>
augenauf.ch
>>
anwaltskollektiv.ch
>>
beratungsnetz.ch

©
fancity 2008